16. Erinnerungstag im deutschen FuSSball - 27. Januar 2020- ab Anfang Januar 2020 bei Turnieren und beim Spielbeginn nach der Winterpause
Heuer wird zum 16. Mal der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau gedacht. In vielen Sportstätten finden Aktionen anlässlich der Befreiung statt. Vereine, Fan-Gruppierungen und zivilgesellschafte Organisationen gedenken der Opfer des Dritten Reiches. Vielfach werden in Bundesliga- und Amateurvereinen Choreografien präsentiert, Lesungen durchgeführt. Häufig tragen Vereinsvorstände, Aufsichtsräte , Trainer und Betreuer Stadiondurchsagen vor – mittlerweile auch bei den Amateurvereinen. Hierzu bieten sich Turniere während der Winterpause an oder die ersten Spiele nach der Winterpause an.
Der Erinnerungstag im deutschen Fußball wird von der Initiative Erinnerungstag im deutschen Fußball NIE WIEDER alljährlich aufgerufen. In dieser Initiative engagieren sich zahlreiche Bundesliga- und Amateurvereine, Fan-Gruppierungen und zivilgesellschaftlich orientierte Gruppierungen. Darunter sind auch mehrere Akteure aus der Metropolregion Nürnberg. Die Aktionen zum Erinnerungstag im deutschen Fußball werden vom DFB, der DFL und den Landesverbänden unterstützt.
Auch in diesem Jahr stellt die Initiative im deutschen Fußball wieder umfangreiches Material zur Verfügung:
Informations- und Motivationsschreiben für Vereinsfunktionäre
a) Brief an die Amateurvereine
b) Text für Stadiondurchsagen
c) Biografie von Oswald Marschall
In der Initiative im deutschen Fußball NIE WIEDER arbeitet der Sprecher des Gräfenberger Sportbündnisses mit. Falls weitere Informationen benötigt werden, bitte schicken Sie eine Mail an mail@graefenberger-sportbuendnis.de
a) Brief an die Amateurvereine
„!Nie wieder - 16. Erinnerungstag im deutschen Fußball“ an den Spiel- und an den Turniertagen in der Winterpause und nach bei den ersten Spielen nach der Winterpause
Sehr geehrte Vorstände, Abteilungs- und Übungsleiter, Trainer und Betreuer,
der „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ geht in seine 16. Kampagne. Gefördert und gestützt durch
den Präsidenten des DFB, Fritz Keller, und Christian Seifert, Sprecher des Präsidiums des DFL e.V. und
Geschäftsführer DFL, sowie den Landesverbände des DFB und der Deutschen Fußball Liga, setzt der
„Erinnerungstag“ seit 16 Jahren, am Gedenktag für die Opfer des Naziterrors ein machtvolles Zeichen
gegen den allgegenwärtigen Rassismus, dem wachsenden Antiziganismus und Antisemitismus, der
zunehmenden Homophobie im Fußball und in der Zivilgesellschaft, sowie gegen die Verächter Europas und unserer Demokratie.
"!Nie wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball“ nimmt die Botschaft der Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau auf und hat sie sich zu eigen gemacht.“ „Er versteht sich als ein starker Beitrag für eine wertschätzende, wehrhafte und demokratische Gesellschaft, in der das Achten der Würde jedes Menschen unveräußerlich ist.“
Seit 16 Jahren sind diese Kernsätzen der Treibstoff, der die Projekte und Aktionen zum „Erinnerungstag“ begründet und befeuert. Wie zwingend notwendig dieses Engagement der Fußballfamilie weiterhin ist, macht der Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Stimmungs- und Gemengelage in Deutschland und Europa deutlich.
Unsere Roma- und Sinti-Freunde*innen, unsere jüdischen Mitstreiter*innen, werden verbal und körperlich angriffen. Gruppen und Fußballvereine, die sich für geflüchtete Menschen in beispielhafter Weise einsetzen oder das Schild „Fußballvereine gegen Rechts und Gewalt“ an ihren Vereinsheimen und Sportstätten anbringen, müssen sich für ihre Engagements rechtfertigen und werden angefeindet Menschen aus der so genannten „Mitte der Gesellschaft“ verschieben, unterhöhlen und verhöhnen die Grenzen von Anstand und Moral mit Verbalattacken in sozialen Netzwerken, mit Hasstiraden über Geflüchtete und Journalisten*innen. Fangruppierungen und Vereine, die sich für etwas einsetzen, was jahrzehntelang selbstverständlich geworden zu sein schien: Ein wertschätzendes Miteinander in einer Gesellschaft auf der Grundlage des Grundgesetzes und auf dem Boden eines geeinten Europas, werden verunglimpft, bedroht und tätlich angegriffen.
Wer die Lehren aus der Terrorepoche der Naziherrschaft für sich gezogen hat, der weiß, dass er sich einzumischen hat, wenn die Würde des Menschen missachtet wird. Er steht damit in der Wertetradition der Gründungsväter des deutschen und europäischen Fußballs. Es war der große Walther Bensemann der noch vor der Wende zum 20. Jahrhundert und das bis zu seinem Tod im November 1934 im Schweizer Exil, dem „Englischen Spiel“ eine friedensfördernde Kraft zuwies.
Wortmächtig schrieb er in seinem „Kicker“ gegen die Übel des Nationalismus, des Militarismus und gegen die Feinde der Demokratie an. Er und seine Mitstreiter, nicht selten Deutsche jüdischer Herkunft, so wie er selbst, setzten der gesellschaftlichen Spaltung Deutschlands und Europas und der damit einhergehenden Verachtung der Menschenrechte die verbindende und friedensschaffenden Kraft des Fußballs entgegen.
Initiative „!Nie wieder“ Erinnerungstag im deutschen Fußball
In dieser Wertetradition steht die Fußballfamilie. Und deswegen rufen die Freundinnen und Freunde von der Initiative „!Nie wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball“ dazu auf, sich mit klugen und kreativen Aktionen an den Spiel- und Turniertagen um den 27. Januar 2020, im Rahmen der 16. Kampagne einzumischen. Tragt mit Euren Aktionen dazu bei, dass die Verbrechen an den Sinti und Roma, an den jüdischen, kommunistischen und allen anderen Verfolgten in Nazideutschland nicht vergessen werden. Setzt bei den Spielen Eures Vereins im Januar 2020 und bei Spielbeginn nach der Winterpause ein unübersehbares Zeichen gegen den gefährlich wachsenden Antiziganismus und Antisemitismus, gegen die Flüchtlingsfeindlichkeit und den latenten und aktuellen Rassismus. Widersprecht den Verächtern der Demokratie und den Nationalisten in Deutschland und Europa.
Wie in den letzten Jahren, kommen mit diesem Schreiben noch vier weitere Texte zu Euch. Einen, den Eure/Euer Stadionsprecher*in oder eine andere Person vor dem Spiel verlesen kann, der auch auf dem Stadionbildschirm oder
als Banner gezeigt wird. Ein Zweiter, der im Stadionmagazin oder in der Vereinszeitung abgedruckt und auf die Homepage gestellt wird, sowie die Biografien von Ernst Alexander aus Gelsenkirchen und dem Sinto Oswald Marschall, ehemaliges Mitglied der deutschen Amateurboxstaffel. Die beiden Biografien verstehen sich auch als Anregung, im Rahmen der Kampagne an ein eigenes Mitglied aus der Vereinsfamilie zu erinnern.
Die 16. Kampagne stellt bewusst die Diskriminierung und Ausgrenzung der Sinti und Roma in Deutschland und Europa in den Mittelpunkt. Die Texte zeigen das unermessliche Leid, das Nazideutschland seinen Mitbürger*innen angetan hat. Wir wissen, dass Verächtlichmachung, Ausgrenzung und Gewalt auch heute das Leben unserer Freunde*innen bedroht. Das darf nicht sein!
Gestaltet Choreographien. Ladet zu Lesungen ein. Veröffentlicht in Euren Publikationsorganen ein Interview mit Präsident und Spielern. Lasst Vereinsmitglieder mit Migrationswurzeln zu Wort kommen. Ladet zu Gedenkspaziergängen ein. Zeigt Filme. Lasst alte Vereinsmitglieder erzählen.
Nehmt zu den Sinti und Roma Vereinen und zu Jüdischen Gemeinden Kontakt auf, etc. etc.
Der DFB hat für den Erinnerungstag die Kapitäne aller Drittligisten eine Videobotschaft sprechen lassen. Macht diese im Stadion und auf allen Medienkanälen öffentlich. Diesen Brief und die Texte leitet an Eure Freunde im In- und Ausland weiter.
Glückauf, Schalom und Servus,
Eberhard Schulz
Sprecher der Initiative „!Nie wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball“ und der Mitstreiterinnen und Mitstreiter:
Jörg Ankermüller – Mario Bendel (Fußball-Fans-gegen-Rechts) – Ronny Blaschke – Martin
Gansen /Rote Karte Stuttgart – Hennes Elbert - Tom Koster /Fortuna Düsseldorf – Thomas Kraus – Anton
Löffelmeier – Daniel Lörcher – Alon Meyer/Makkabi Deutschland – Lorenz Peiffer – Angelika Ribler/
Sportjugend Hessen – Maurice Schreibmann/Maccabi München – Klaus Schultz/Evang. Versöhnungskirche
in der KZ-Gedenkstätte Dachau – Dietrich Schulze-Marmeling - Alexander Sobotta – Matthias Thoma/
Eintracht Frankfurt-Museum – Albert van Waveren – Andreas Wittner/FC Bayern-Erlebniswelt – Ludwig
Haas/Gräfenberger Sportbündnis – Peter Reuter/Eichenkreuz Nürnberg– Joachim Puls – Stephan v. Plötz,
Stefan Hebenstreit/Fanprojekt Frankfurt – Marius Künzel/ Fanprojekt Mönchengladbach – Jochen
Kaufmann, Nadine Bickmann, Sebastian Drescher/ Fanprojekt München – Gerd Wagner, Philipp
Beitzel/KOS – Ulla Hoppen/ Löwenfans gegen Rechts – Conrad Lippert, Adam Bednarski/Roter Stern Leipzig
Schickeria München – Matthias Fritz/ TSV Kücknitz – Werner Skrentny – Marc Teuku – Chris Schirmer/ Fußball- Akademie Nürnberg – Ronald Uhlich, Edgar Ledur/FC Ente Bagdad – Dirk Kämper – Sven Graner, Maciej Seweyn/Schalke 04 – Nina Catharina Reip – Stefan Stoll – Thoralf Höntze/Babelsberg 03 – Helga Roos – Oswald Marschall – Angie Messmer – Jan Wurdak – Bernd Beyer – Günther Koch – Ariel Leibovici etc...
b) Stadiondurchsage zum „16. Erinnerungstag im deutschen Fußball“ an den Spieltagen im Januar bei den Spielen nach der Winterpause
Verehrte Fans und Spieler von (Name des Gastverein) und (Name des Heimverein), verehrte Freundinnen und Freunde des Fußballs!
Am 27. Januar 2020 jährt sich zum 75. Mal jener Tag, an dem die Überlebenden im Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit wurden. In Demut, Respekt und Mitgefühl gedenken wir aller Opfer, der Überlebenden und Ihrer Familien. Auch aus der Fußballfamilie wurden Menschen von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet. An diesen Verbrechen hatte auch der Fußball seinen Anteil. Statt sie zu schützen, schlossen die Vereine ihre jüdischen und kommunistischen Mitglieder aus. Die Schuld der Preisgabe wird unvergessen bleiben. Neben jüdischen Menschen, den politischen Gegnern und anderen ausgegrenzten Gruppen waren im besonderen die deutschen und europäischen Sinti und Roma in der NS-Zeit schrecklicher Verfolgung ausgesetzt. Hunderttausende fielen der Vernichtungspolitik der Nazis zum Opfer; allein im KZ Auschwitz wurden mehr als 20.000 Sinti und Roma ermordet.
Der deutsche Fußball steht gegenüber den Sinti und Roma in einer besonderen Verantwortung. Es war der langjährige DFB-Präsident Felix Linnemann, der vor 1945 als SS-Standartenführer und Kripochef von Hannover unmittelbar an ihrer brutalen Verfolgung beteiligt war. 2020 ist der Antiziganismus in Deutschland und bei unseren europäischen Nachbarn wieder auf dem Vormarsch. Es ist das Gebot der Stunde, sich zusammen mit den Sinti und Roma Freunden*innen gegen dieses Übel entschieden zur Wehr zu setzen. 2020, im Jahr der Fußball-Europameisterschaft, knüpfen wir am „16. Erinnerungstag im deutschen Fußball“ an die europäische Friedensvision von Walther Bensemann, dem Mitbegründer des DFB, an. Mit seinem sozialen Engagement, mit seinem mutigen Anschreiben gegen den völkischen Nationalismus, mit seiner Forderung nach „Vereinigte Staaten von Europa“ weist er uns den Weg. Er wusste, der Fußball kann das. Seinen ethischen Grundsätzen fühlen wir uns am 27. Januar 2020, dem „16. Erinnerungstag im deutschen Fußball“ - zutiefst verpflichtet.
Dass Auschwitz „Nie wieder“ geschehen, dafür werden wir uns in den Kurven, den Stadien und überall einsetzen. Wir sind das den Opfern, den Überlebenden von Auschwitz, uns selbst und Europa schuldig. Bitte bekräftigten und unterstützen Sie diese Aufforderung mit Eurem/Ihrem Beifall.
c) Biografie von Oswald Marschall
Persönliche Anmerkung zu Oswald Marschall: Oswald arbeitet seit Jahren in der Initiative im deutschen Fußball NIE WIEDER Jahren mit. Auch lange Zeit nach dem Dritten Reich wurde er als Sinto im Alltag und speziell im Sport bewusst und gezielt benachteiligt. Nachstehend nun sein Beitrag.
Für uns Deutsche Sinti und Deutsche Roma war nach 1945 der Krieg nicht beendet.
Mein Name ist Oswald Marschall, geb. am 10.4.1954 in Minden (Westfalen). Ich bin 1961 in Minden in die Königschule eingeschult worden. Meine Benachteiligungen in der Schule und im Sport als deutscher Sinto: bevor der Lehrer den Klassenraum betrat, saßen einige Schüler nicht auf ihren Plätzen , einige standen auf Stühlen, einige liefen herum. Als der Lehrer plötzlich im Klassenzimmer stand, verwies er die, die erwischt wurden, für fünf Minuten auf den Flur. Dann durften sie wieder am Unterricht teilnehmen. Ich musste in der Ecke stehen, mit dem Gesicht zur Wand - die ganze Unterrichtsstunde - und durfte mich nicht bewegen. Zwischendurch zog der Lehrer auch mal einen Schüler an den Ohren, wenn er den Unterricht störte. Mich zog er nicht an den Ohren, ich musste meine Handfläche zeigen und er schlug mir mit dem Rohrstock drauf. Einmal schlug er so fest zu, das mir die Handfläche aufplatzte.
Als ich nach Hause kam, versuchte ich meine Hand vor meiner Mutter zu verstecken, aber meine Mutter sah es sofort und fragte was passiert sei. Ich wollte erst nichts erzählen, weil unser Vater großen Wert darauf legte, dass ich mich gut betrage und im Unterricht aufpasse. So erzählte ich meiner Mutter alles. Am nächsten Morgen ging mein Vater zu meinem Klassenlehrer. Wie ich mich erinnern kann war es eine sehr laute Auseinandersetzung, kurz gesagt, mein Vater musste vor Gericht erscheinen, weil mein Lehrer ihn angezeigt hatte. Mein Vater wurde zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung oder Ähnliches verurteilt. Auch kann ich mich erinnern, dass mein Vater plötzlich schrie, wenn wir Kinder mit ihm mit dem Auto durch unsere Heimatstadt Minden fuhren: „Kinder duckt euch, die Polizei steht da!“ Wir legten uns flach zwischen den Sitzen und mein Vater sah nur starr nach vorne. Als er dann sagte, wir könnten wieder hoch kommen, freuten wir uns, dass die Polizisten wieder weg waren. Wir haben nichts gemacht und mussten uns schon verstecken, wenn Polizei nur in der Nähe war. Meine Eltern waren bis zu ihren Tod vom Nationalsozialismus traumatisiert, und dieses Trauma haben sie an ihre Kindern weitergegeben.
Als meine Karriere als Boxer 1971 in der deutschen Nationalmannschaft begann, hatte ich große Ziele. Im Jahr 1974 sagte der damalige Bundestrainer Dieter Wemhöner: „Ich halte Oswald Marschall für einen der wenigen bundesdeutschen Boxtalente, für den das Tor Olympia 1976 Montreal weit offen steht.“ Ich boxte bis 1975 zwanzig Mal in der deutschen Nationalmannschaft, hatte 148 Kämpfe bestritten wovon ich nur elf verloren habe. 1974 habe ich an der U 21 Europameisterschaft teilgenommen und belegte den fünften Platz. Im Jahr 1976, auf einen Vorbereitungslehrgang in der Sportschule Hennef, kam ein Sportkamerad zu mir und sagte: „Oswald du nimmst auf keinen Fall dieses Jahr an der Olympiade teil.“ Er hatte mitbekommen, dass sich die Bundestrainer mit dem damaligen Präsidenten des Deutschen Amateur-Box-Verbandes unterhalten hatten. Dabei habe der Präsident geäußert, dass einer meiner Kontrahenten mehr Erfahrung hätte wie ich und für Olympia bräuchte man eben Erfahrung. Die Deutsche Meisterschaft würde nicht ausschlaggebend sein. Abends bei der Mannschaftsbesprechung sprach ich direkt das Thema an, der damalige Präsident bestätigte das Gesagte. Für mich brach eine Welt zusammen. Vier Jahre habe ich auf dieses Ziel hingearbeitet, als erster Sinto für sein Land an einer Olympiade teilzunehmen. Der Traum war von einer Sekunde auf die andere geplatzt. Als ich nach Hause kam, berichtete ich meinem Vater von diesen Vorfall. Ich wolle nicht mehr boxen, meine Enttäuschung wäre zu groß.